Das ist eine Frage die ich mir auch stelle, ist zB der Bau von Babylon tatsächlich kulturell höherwertiger zu sehen als die Malereien der Höhle von Lascaux? Ich meine nein.
Völlig richtig. "Kultur" hatten sogar schon die Hominiden vor dem Neandertaler (Homo heidelbergensis / erectus etc.), denn schon diese waren sehr gut in der Lage, ihre Umwelt bewusst einzuschätzen und zu beeinflussen.
Sie besaßen Techniken, welche die Überlebensfähigkeit verbesserten und schufen dabei "Artefakte", also Dinge, welche so in der Natur nicht vorkommen. Diese Kulturtechniken sind keineswegs geringwertiger als die der Hochkulturen, sie sind nur an die Bedürfnisse im jeweiligen Lebensumstand angepasst. Die altsteinzeitliche Kunst, etwa die Höhlenmalerei ist ohnehin gleichwertig mit der Kunst späterer Kulturen.
"Hochkulturen" unterscheiden sich v. a. in der Quantität der entwickelten Kulturtechniken und der Anzahl der erzeugten Artefakte (bis hin zu den Großbauten) von den Jäger-und-Sammler-Gesellschaften. Sie nutzen die selbst entwickelte Schrift nicht nur als Mitteilungsmedium, sondern auch zur Speicherung von Wissen, welches dadurch weniger schnell wieder in Vergessenheit gerät oder verloren geht als bei rein mündlicher Tradierung. Die Entwicklungssprünge folgen dadurch zeitlich schneller aufeinander.
die Neandertaler werden ja oft noch als dumm hingestellt.
Das hat sich zum Glück zumindest in der europäischen Paläoanthropologie seit den letzten 10 bis 15 Jahren radikal gewandelt.
Die Publikationen zeigen deutlich, dass man die Neandertaler heute für hoch kompetente, an ihre Lebensräume hervorragend angepasste Menschen hält, die dem Sapiens in nichts nachstanden. Wie Agnosco erwähnt hat, lassen die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Funde der jüngsten Vergangenheit auch keinen anderen Schluss zu.
Lediglich einige Vertreter der sog. "amerikanischen Schule", einer ideologisch-pseudowissenschaftlichen (evtl. rassistischen?) Strömung innerhalb der Paläoanthropologie bezeichnen immer noch alle Hominiden jenseits des Sapiens als "strunzdumme tumbe Aasfresser". Diese sollte man ignorieren.
Von daher schätze ich die Jäger und Sammler hatten keine Religionen sondern waren animistisch-naturspirituell.
Das ist natürlich richtig, bedenkt man die große Häufigkeit von figürlichen Tierdarstellungen auch in der Höhlenmalerei, ist anzunehmen, dass ihre Spiritualität insbesondere animalistisch gewesen sein muss.
Animismus ist zwar keine Religion sensu strictu, aber ganz sicher eine Form von Prä-Religiösität. Religiösität ist ja eine Reaktion auf eine Grenzerfahrung. Die erste buchstäbliche "Grenz"-Erfahrung des sich bewussten Menschen ist ja, dass jenseits der Grenzen seines eigenen Körpers andere Lebewesen und Dinge existieren.
Empfindet man nun sich selbst als beseelt, erscheint es folgerichtig, auch anderen Lebewesen und Dingen eine Seele zuzugestehen.
Dennoch deutet die offenkundige Verehrung des Weiblichen in Form von figürlichen Darstellungen von Frauengestalten, Brüsten, Vulven etc. darauf hin, dass auch bei den Paläolithikern schon eine Transzendenz zu einem Urbild der Göttin stattgefunden haben muss (= echte Religion). Diese beruht auf der Grenzerfahrung, dass es verschiedene Geschlechter gibt und das weibliche Geschlecht faktisch und spirituell eine besondere Bedeutung haben muss.
LG
Erzsucher