Traditionen und Bräuche
Von den vielen Traditionen und Bräuchen, die es je nach Bundesland, Bevölkerungsgruppe (und -schicht) aber auch hinduistischer Strömung gibt, möchte ich nur auf ein paar ausgewählte eingehen.

Rezitation des Devi-Mahatmyams
Eine der wohl essenziellsten Praktikenn Navratris ist die Rezitation des kompletten Devi-Mahatmyams.
Das Devi-Mahatmyam ist eigentlich Teil der Makandeya-Purana und besteht aus dreizehn Kapiteln. Es beschreibt einerseits das Wirken der Göttin Adi-Parashaktis in unterschiedlichen Formen, aber auch, in seiner tieferen Bedeutung, die Wanderung der menschlichen Seele.
Die dreizehn Kapitel sind in drei Abschnitte unterteilt und entsprechend ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Seele und der Veränderungen auf der spirituellen Reise Maha-Kali, Maha-Lakshmi und Maha-Sarasvati zugeordnet sind. Sie stellen die Kräfte dar, die im menschlichen Geist während seiner spirituellen Reise wirken und sich in ihm manifestieren.
Die Rezitation des Devi-Mahatmyams wird meist unter Einhaltung bestimmter Regeln und Methoden begangen, die sich jedoch von Tradition zu Tradition unterscheiden.
Zu den unterschiedlichen Methoden gehören z.B.
1. die Rezitation des kompletten Textes an einem Tag (kann mehrere Stunden in Anspruch nehmen)
2. die Aufteilung der Kapitel an verschiedenen Tagen:
Tag 1 | Kapitel 1 |
Tag 2 | Kapitel 2-3 |
Tag 3 | Kapitel 4 |
Tag 4 | Kapitel 5-8 |
Tag 5 | Kapitel 9-10 |
Tag 6 | Kapitel 11 |
Tag 7 | Kapitel 12-13 |
3. die tägliche Rezitation nur des 2.-4. Kapitels
4. die tägliche Rezitation der Devi-Mahatmya Stothra Ashtakam, d.h. eine Zusammenfassung des Devi-Mahatmyams in acht Strophen.
Der Rezitation des Devi-Mahatmyams werden entsprechend der Wiederholungszahl unterschiedliche „Früchte“ oder Ergebnisse zugesprochen.
So soll z.B. das 3-fache wiederholen dabei helfen, sich von schwarzmagischen Einflüssen zu befreien. Fünfzehn Wiederholungen sollen zu einem angenehmen Leben und Reichtümern verhelfen und bei der Vollendung von 1000 Wiederholungen soll die Göttin Lakshmi erscheinen und allen Reichtum und Wohlstand den man sich wünschen kann, schenken.
Doch es sind dazu noch weitere Regeln zu beachten.
So z.B. dass bestimmte Manten vor und nach jedem Vers gesprochen werden sollen, oder dass vor und nach dem Lesen des Devi Mahatmyams 100 Mal das sog. Tryambaka-Mantra (1) rezitiert werden soll.
Die Möglickeiten sind da sehr sehr vielfältig.
Auch die Kombination mit einem sog. Vrata kommt vor, besonders dann, wenn man sich die Erfüllung eines bestimmten Wunsches erhofft.
Tanz
Vor allem in Gujarat und Mumbai sind Tänze Teil der Feierlichkeiten.
Der sog. Garba ist ein ritueller Tanz, der während des Pujas (dem Ritual) vor der Darbringung der heiligen Flamme zu Ehren der Göttin vorgeführt wird, und ein Kreistanz (traditionell von Frauen) um eine in einem tönerden Gefäß brennende (Öl)Lampe/Kerze oder einer Statue der Göttin ist.


Das Licht der Lampe stellt das Leben dar und den Fötus im Leib der Mutter. Der Tanz ist damit auch ein Teil der Verehrung des Lebens, der Schöpfung und der Zyklen des Seins.
Ein anderer, nach dem Puja als Teil der anschließenden Feierlichkeiten vorgeführter Tanz ist der Dandiya.
Der Dandiya war ursprünglich den Männern vorbehalten und diente dem Training von Kampftechniken z.B. mit dem Schwert.
Die heute benutzen farbenprächtigen Stäbe sind die Überbleibsel des Schwertes. Erst später kam Musik hinzu und er öffnete sich auch für Frauen.
Kalash Sthapana
Am ersten Tav von Navratri wird ein tönerdes oder metallenes Gefäß (Kalash) für den Hausschrein oder einen eigens dafür hergerichteten Altar(raum) vorbereitet, in den die Göttin invoziert wird.

In manchen Regionen ist es auch Brauch, auf dem Altar bzw. im Schrein etwas feuchte Erde auszubreiten und dort Getreide (meist Gerste) auszusäen, die in den neun Tagen gehegt werden, bis sie sprießen. Die Sprößlinge werden am letzten Tag sog. Prasada (2) an Familienmitglieder und/oder Teilnehmer der Heim-Puja verteilt.
In anderen Regionen werden die Sprößlinge auch in tönernden Gefäßen, in die feuchte Erde getan wurde, gezogen.
Die Verbrennung Ravanas
Einer der Bräuche am letzten Tag von Navratri ist die Verbrennung des Dämonens Ravana.
Sie symbolisiert den Sieg Ramas über den Dämonen und damit den Sieg über das Böse in der Welt.
Dazu werden z.T. riesige hölzerne Nachbildungen des Dämonenkönigs gebaut, die dann entzündet werden, doch auch im Kleinen zu Hause werden, Feuer entzündet und Nachbildungen des Dämons verbrannt.
Ein wenig erinnert diese Tradition an die Sonnenwendfeuer in unseren Breiten 😉 .

Sarasvati-Puja
Die letzten drei Tage von Navratri sind Saraswati geweiht.
An diesen Tagen finden unterschiedliche Rituale statt, um den Segen der Göttin der Weisheit, der Erkenntnis, des Lernens und der Künste zu erbitten.
Doch nicht nur Schüler, Studenten, Künstler o.a. widmen sich an diesem Tag besonders Ihrer Verehrung, sondern die Angehörigenaller Berufsgruppen.
Es ist auch die Zeit, in der Kinder zwischen 4 und 5 Jahren in einem rituellen Rahmen ihre erste Einweihung ins Schreiben und damit in den Beginn des Lernens erhalten.
Doch wie zu Beginn gesagt, dies sind nur Beispiele für die Traditionen und Bräuche, die mit Navrati in Verbindung stehen.
Auch wenn es viele Überschneidungen in den unterschiedlichen Bundesländern Indiens gibt, gibt es doch auch genauso viele Unterschiede.
Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe innerhalb des Hinduismus spielt darüber hinaus natürlich ebenso noch eine Rolle wie der gesellschaftliche Status.
Aber ich hoffe, es mir gelungen, einen kleinen Einblick in dieses wundervolle Fest zu Ehren der Großen Göttin Indiens zueröffnen.
Siat
1 – Ein Mantra Shivas
2 – geheiligte Speise