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Altägyptischer Glaube und Religion in der heutigen Zeit.

Vom Wesen ägyptischer Tempel (Teil 3) von Merienptah

Der heilige See von Karnak. Der See ist der grösste seiner Art und diente der Waschung der Priesterschaft, für sämtliche Reinigungsriten und für Bootsfahrten für den Gott. Ohne See oder Teich (mag er auch noch so klein sein) ist ein kemetischer Tempel unvollständig und nicht funktionsfähig…

 

Weiterhin gehören zu den meisten Tempelkomplexen sogenannte Barkenstationen.
Dies sind Ruheplätze für die Götterbarke bei ihren Prozessionen im Tempelgebäude selbst oder außerhalb der Tempelumwallung.
Diese Gebäude sind Stätten bei denen die Gottheit während einer Prozession ausruhen kann, aber sie haben auch einen nicht zu verachtenden Wert für die Priester, die die nicht gerade leichte Kultbarke während dieser Prozessionen auf ihren Schultern tragen müssen.
Grundsätzlich genügt zu diesem Zweck ein Baldachin oder zeltförmiger Unterstand. Oftmals werden diese Einrichtungen jedoch zu kleinen Heiligtümern ausgebaut. Sie treten in verschiedenen Forman auf.
Die erste Station auf dem Weg der Kultbarke ist meist der Säulensaal des Tempels selbst, der ja den Namen „Saal des Erscheinens“ trägt. Besonders das erhöhte oder durch einen weiteren Säulenabstand besonders betonte Mittelschiff dieses Saales kann als Säulenkiosk und somit als Barkenstation gelten.

Nach ähnlichem Prinzip ist die zweite Station im Tempelhof gestaltet, wo ja auch gelegentlich ein Säulenkiosk oder Baldachin steht. Im Gegensatz zur Barkenstation im Erscheinungssaal sind hier, in einer nach kemetischer Vorstellung bereits potentiell feindlicheren Umgebung, die Interkolumnien zwischen den Säulen durch Schrankenwände verschlossen, die einen direkten Einblick verhindern sollen. Bei hölzernen Baldachinen werden zwischen den Haltepfosten des Daches aus dem selben Grund Tücher gespannt die erstens Schatten spenden und zweitens die ruhende Gottheit vor den Blicken Unbefugter beschützen.

Als dritte Station ist der Säulenkiosk zu verstehen, der bei einigen Tempeln direkt vor dem Hauptportal errichtet wird und seine Rückwand an die Tempelfassade lehnt. Diese Kioske heißen auf ägyptisch Hajit, also „Hütte“ oder „Häuschen“.
Es sind entweder echte Säulenkioske, deren Außensäulen durch halbhohe Schrankenwände miteinander verbunden sind und nur einen Durchgang auf der Hauptachse haben oder sie bestehen aus parallelen Säulenreihen (meist vier), die an der Front und den Seiten komplett offenbleiben und die nur bei Prozessionen durch zwischen die Säulen gespannte Tücher geschützt werden.
In größerer Entfernung zum Heiligtum stehen meist weitere solche Stationskioske. Häufig nehmen die außerhalb des eigentlichen Tempelbezirkes gelegenen Barkenstationen die Form eines kleinen Tempels an in dem die Gottheit bei längeren Prozessionen auch über Nacht verweilen kann.

Hinter dieser Wand befindet sich das Hauptsanktuar des Amun-Tempels von Karnak. Alexander der Grosse hat diesen Schrein errichten und sich auf seinen Wänden vor dem Gott Amun abbilden lassen. Aus Respekt vor dem uns noch immer heiligen Ort hab ich nur die Aussenseite des Sanktuars fotografiert…

Als letzter Bestandteil eines kemetischen Tempelkomplexes müssen noch die Mammisi genannten Geburtshäuser (ägyptisch: Per-meset) genannt werden.
Diese sind zwar im Allgemeinen genau wie der eigentliche Haupttempel der gesamten Göttertriade geweiht, speziell richten sie sich aber an den weiblichen Partner der Götterfamilie und deren Kind.
Sie stehen innerhalb der Tempelumwallung, meist an der zum Haupttempel führenden Prozessionsstraße, rechtwinklig zu dessen Achse ausgerichtet.
Sie bestehen gewöhnlich aus einem dreiräumigen Sanktuar, das allseitig von einem mit Schrankenwänden verschlossenen Säulenumgang umgeben ist, der das Dach stützt.
Diese Bauform orientiert sich an den „Wochenlauben“ Kemets in denen die Frauen in alter Zeit ihre Kinder zur Welt brachten. Geburtshäuser sind gewissermaßen Prozessionsstationen, in die an bestimmten Festtagen die Götterprozession einzieht, um hier die Geburt des jungen Gottes zu feiern.

Diesem groben Muster des Bauplanes folgen alle Tempelbauten Kemets, die Großen wie die Kleinen.
Von Ort zu Ort wird dieser Masterplan den lokalen und kultischen Gegebenheiten angepasst, aber grob gesehen bestehen alle Tempel aus einer relativ hohen äußeren Umfassungsmauer, Prozessionsstraße, zweiter Mauer mit Tempeltor, Hof, Säulensaal, Opfertischraum und Sanktuar, umgeben von einigen Kult- und Lagerräumen.
Das Tempelhaus ist eingebettet in Gärten mit Blumenbeeten, einem Teich und dem Geburtshaus und im äußeren Bereich liegen noch einige Gebäude für Verwaltung, Werkstätten und Lager.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht folgen die kemetischen Tempel der heutigen Zeit doch ebenfalls diesem festgelegten Bauplan, allerdings weit weniger Monumental als die antiken Vorläufer und aufs Wesentliche zusammengeschrumpft. Der Schwerpunkt der Ausgestaltung hat sich mehr auf das Innere der Tempel verschoben, so dass die Außenansichten relativ unscheinbar gehalten werden. Dennoch sind auch in den modernen kemetischen Tempeln alle wichtige Kulträume und Nebengebäude vorhanden, genauso wie Gärten und ein Teich umgeben von einer abschottenden Mauer.
Auch der Kultbetrieb in den Tempeln der Neuzeit hat sich mehr auf das Innere verlagert und Prozessionen sowie Erscheinungsfeste finden ausschließlich im Inneren der Umfassungsmauer statt, so dass die Tempelbauten von außen nicht als solche in Erscheinung treten.

Das ist das Eingangstor in der Umfassungsmauer vor dem Chons-Tempel von Karnak. Das äussere Portal sozusagen. Dieses Tor bildet die Grenze zwischen der Welt der Menschen und der göttlichen Residenz. Dem normalen Volk war der Weg durch das Tor verschlossen, nur die Priesterschaft und der König durften dieses Tor durchschreiten oder der Gott wenn er sich in einer Prozession den Menschen zeigte…

Der kemetische Tempel ist nicht nur, wie man gerne glauben möchte, eine Bühne für den Kultbetrieb. Nein, für den Kemeten ist er weitaus mehr als das.
Wir sehen unsere Heiligtümer auf einer anderen, mythischen Ebene.
Wie bereits erwähnt ist der Tempel als Wohnstätte der Götter ein ins Diesseits herübergeholter Teil jener anderen Welt, in der die Götter wohnen und in dem andere Gesetze gelten.
Diese göttliche Sonderwelt im Hier ist nun interessanterweise als ein verkleinerter und abstrahierter oder kondensierter Kosmos gestaltet, der dem Vorbild des kemetischen Weltbildes folgt.
Diese kosmographische Eigenschaft eines Tempels, die „Welt“ darzustellen, führt jedoch nicht zu einem modellhaften Nachbau des kemetischen Weltgebäudes.
Assoziationen werden durch subtile Hinweise oder durch entsprechende architektonische Zitate und durch die Thematik des Dekorationsprogrammes heraufgerufen.

Der kemetische Tempel ist eine heilige Stätte des „Ersten Males“, also ein Urhügel auf dessen Grund der Urgott verborgen war, um dann am Weltanfang aus dem Urozean aufzutauchen um zum ersten Mal den Prozess der Schöpfung in Gang zu setzen.
Dieses Bild entspricht auch der natürlichen Situation eines Tempels der auf einer Anhöhe, und mag sie noch so klein sein, errichtet ist.
In Fällen wo die natürlichen Gegebenheiten keine Anhöhe bieten, wird extra für den Tempelbau vorher ein Hügel künstlich aufgeschüttet und in eine abstrakte Form eines Urhügels gebracht. Erhalten bleibt der Urhügelaspekt in übertragener Form auch in der erhöhten Lage der hinteren Tempelteile, besonders des Sanktuars, das jeweils auf einer auch noch so flachen Terrasse über alle vorderen Tempelräume erhöht steht.
Die letzte Ausformung des Bildes eines Urhügels finden wir im Naos.
Da in seinem Inneren das Kultbild der Gottheit geborgen wird, nimmt er die abstrakte Form eines solchen Urhügels an.
Er besteht aus hartem Gestein und ist von einem pyramidenförmigen Dach bekrönt, das ebenfalls als eine Darstellung des Urhügels aufzufassen ist. Darunter, quasi im Inneren des Urhügels, befindet sich dann die Aushöhlung, in der die Gottheit in ihrem Kultbild wohnt.

Ein Blick in die grosse Säulenhalle des Amun-Tempels von Karnak. Die Säulen stehen auf (einst schwarzen) Basen, die die fruchtbare Erde symbolisieren und stellen selbst zusammengeschnürte Bündel aus Pypyrusstengeln dar, die den Himmel tragen…

Auch in der Dekoration der Tempel Kemets tritt der Aspekt der aus dem Ursumpf hervorragenden Erde in der dunklen Farbe der Bodenbeläge hervor, in der schwarzen Bemalung des Sockelfeldes der Wanddekoration oder in der Darstellung eines Papyrussumpfes im untersten Teil der Wände. Im untersten Bildregister der Wanddekorationen treten dann auch meist Nil- und Fruchtbarkeitsgötter in Erscheinung, die quasi aus dem fruchtbaren schwarzen Untergrund ihre Gaben hervorbringen.
Das Motiv der aus dem Grund emporwachsenden Pflanzen kehrt schließlich in der Form der Säulen wieder, die einen Säulensaal in einen imaginären Pflanzenwald verwandeln oder einen heiligen Ort mit einem schützenden Papyrusdickicht umgeben.
So wie der Boden des Tempels den Untergrund der fruchtbaren Erde darstellt, werden die Decken zu einer Wiedergabe des Himmels.
Ihre Grundfarbe ist daher blau und sie sind mit einer Unzahl von gelben oder weißen fünfzackigen Sternen bedeckt. Auch sind über den Hauptdurchgängen Bilder von fliegenden Geiern und Falken angebracht, gelegentlich breitet sogar die Himmelsgöttin Nut ihren Körper über die Decke einiger Räume aus.

Auch in der Ausrichtung der Tempel und der Anlage des an die Wände angebrachten Bildprogrammes wird die natürliche Orientierung des Gebäudes bedacht, so schmücken die nördliche Hälfte des Baues Darstellungen mit den unterägyptischen Kennzeichen und die Südliche die oberägyptischen Pendants.
Grundsätzlich werden handelnde Personen auf den betreffenden Wandflächen in ober- und unterägyptischem Ornat dargestellt und auch die Wappenpflanzen der beiden Landesteile tauchen auf den zu ihnen gehörenden Wänden auf. Ebenso sind die bildlichen Darstellungen im Inneren der Tempel immer auf den Kultvollzug und die Aufrechterhaltung der Maat ausgerichtet.
Die Darstellungen auf den Außenwänden hingegen haben meist die Unterwerfung der Isfet, also den Kampf gegen das Chaos zum Thema. Dies verdeutlicht dass der Tempel der chaotischen Außenwelt den Zugang versperrt und in seinem inneren der perfekte Zustand der Maat herrscht.

Allerdings haben heutige kemetische Tempel an ihren Außenfassaden keine bildlichen Darstellungen mehr und die Außenanlagen sind auf ein Minimum reduziert, auch sind die Gebäude an sich weitaus weniger monumental und demzufolge viel kleiner als ihre antiken Vorgänger.
Die Fassaden sind in einem unscheinbaren weiß getüncht und nur an den „Schwachstellen“, also an den Türdurchgängen und den Oberkanten der Umfassungsmauern und denen der Wände mit kaum sichtbaren Schutzsymbolen versehen. Somit fallen die heutigen kemetischen Heiligtümer dem unwissenden Betrachter kaum ins Auge.
Weiter gehe ich an dieser Stelle auf das komplizierte Dekorationsprogramm jetzt mal nicht ein, da es den Rahmen dieser „kurzen“ Übersicht sicherlich sprengen würde.

Durch diese Ordnungssysteme (und viele weitere Regeln) wird der Tempel maatgerecht in die Weltordnung eingepasst und somit zu einer symbolischen Wiedergabe der göttlichen Schöpfung.
Seine Nordhälfte ist Unterägypten und seine Südhälfte Oberägypten, seine Ostseite der Bereich des Morgens, der aufgehenden Sonne zugewandt, und der Westen ist der Bereich des Sonnenuntergangs.
Allerdings können diese ganzen Regelungen, die Architektur und die Dekoration betreffend, bis zu einem gewissen Grad den realen Gegebenheiten untergeordnet und angepasst werden, wenn es notwendig ist. So stimmt die imaginäre Ost-West-Ausrichtung der Tempelachse nicht immer akkurat mit der geographischen Ausrichtung überein. Jedoch wird innerhalb des Tempels durch die Darstellung der Himmelsrichtungen dieser „Fehler“ korrigiert und seine tatsächliche Achse wird zur Wahrheit, wohingegen die reale Ausrichtung ihre Bedeutung verliert.
Das Bild wird somit zur Realität und der Tempel schafft sich durch die ihm innewohnende göttliche Kraft seine eigene Wahrheit.

 

Ende Teil III

Vom Wesen ägyptischer Tempel (Teil 2) von Merienptah

Um den Göttern das Leben im Tempel zu verschönern und ihre Schöpfungskraft sichtbar darzustellen, sind im Inneren der Umfassung Baumgärten, Blumenbeete und Teiche angelegt.

Der Dromos mit Sphingenallee vor dem 1. Pylon des Karnaktempels. Spätestens an diesem Tor war für das Volk Schluss

Diese Teiche oder Seen haben die Form von rechteckigen Becken von oft beträchtlicher Tiefe, die über Treppen begehbar und für Reinigungsrituale und Bootsfahrten der Götter vorgesehen sind.

Inmitten all dieser Anlagen steht, alle anderen Bauten überragend, das eigentliche Tempelhaus, das Hut-netjer.
Dieses Tempelhaus ist wie der innere Zwinger einer Burg nochmals von einer hohen Mauer umgeben und besitzt neben dem Mitteleingang, nur noch einen oder einige wenige kleine Seitenpforten, durch die die Priester den Tempel betreten und direkt zum heiligen Brunnen dicht neben dem Tempelhaus gelangen können.

In der Mitte der Tempelfront öffnet sich das Hauptportal.
Es führt nicht, wie man meinen könnte, in den Tempel hinein, sondern öffnet sich von innen, wenn der Gott in seiner Barke sein Haus verlässt oder wieder dorthin zurückkehrt.
Die meiste Zeit allerdings bleibt dieses große Tor fest verschlossen.
Hinter diesem Tor öffnet sich ein oftmals an zwei, drei oder allen vier Seiten von Säulenhallen umgebener Hof (Uba – „der Offene“).
Bedeutungsmäßig und gelegentlich auch formal bildet er eine Einheit mit dem dahinterliegenden Säulensaal. Denn beide Bauteile sind Erscheinungsstätten für die Götterbarken und bieten Platz für die Abhaltung raumumgreifender Kulthandlungen.
Zu diesen Ritualen werden in seltenen Fällen sogar einige Vertreter aus dem einfachen Volk zugelassen, die aus diesem Anlass bis in den Tempelhof vorgelassen werden.
Gelegentlich steht bereits in diesem Hof ein großer Opferaltar.

Der Deutung des Tempels als Ort des Urhügels gemäß erhebt sich die Rückhalle des Hofes oder der folgende Säulensaal auf einer niedrigen Terrasse.
Der Höhenunterschied zwischen Hof und Tempelhaus wird durch eine flache Rampe überbrückt um den Trägern der Götterbarke ein würdiges Herabsteigen in den Hof zu ermöglichen.
Der Weg den die Prozession durch den Säulensaal nimmt ist durch einen weiteren Säulenabstand als am Rand hervorgehoben und bei größeren Tempelbauten oftmals auch durch ein basilikal erhöhtes Mittelschiff von oben her beleuchtet.
Die Seitenbereiche des Säulensaales sind in Dämmerlicht getaucht, die nur durch die blendendweiße Bemalung der Wände etwas aufgehellt wird.

Einige Tempel besitzen seitlich neben dem Säulensaal und dem dahinter befindlichen Opfertischsaal noch Räume für die Aufbewahrung der heiligen Salben und Stoffe, die für das Kultbildritual benötigt werden. Auch sind sogenannte „Schatzkammern“, also Lagerräume für das kostbare Kultgerät seitlich der großen Hallen vorhanden und schließlich auch Treppenhäuser, die für Dachprozessionen benutzt werden.

 

Wohnung der Götter

Auf den Säulensaal folgt hinter einer weiteren Pforte der eigentliche Wohnbereich des Gottes, beginnend mit einem kleinen Saal, der gelegentlich mit zwei bis vier Säulen ausgestattet ist und als „Empfangsraum“ dient. Dieser Raum nennt sich Usechet-hotep, „Saal der Opfer“ oder. In der Mitte der Rückwand dieses Opfertischraumes öffnet sich der Durchgang zum Hauptsanktuar.
Daneben und entlang der Seitenwände befinden sich Kapellen für Gastgötter. Hier stehen die Altäre und Opfertische.
In diesem Raum, direkt vor dem Hauptsanktuar, wird das alltägliche Opferritual zelebriert, an dem auch die Gastgötter teilhaben dürfen.
Diese Gastgötter sind oft als „Neunheit“ zusammengefasst, die die neun Urgötter der Schöpfung darstellen. Sie stehen auch durch ihre Anzahl für die Gesamtheit der kemetischen Götter, denn die Zahl 9 symbolisiert im kemetischen Zahlenkontext auch die Mehrzahl der Mehrzahl, also Alles.
Zu unterscheiden sind die Gastgötter von der eigentlichen Götterfamilie des Tempels, die sich oft als Triade aus Gott, Göttin und Götterkind zusammensetzt und deren Kultstatuen demgemäß im Hauptsanktuar des Tempels untergebracht sind.
In einigen Tempelbauten wird die Funktion der Opferdarbringung und der Gastgötterversammlung auf zwei hintereinanderliegende Räume verteilt, das heißt, auf den eigentlichen Opfertischraum folgt noch ein weiterer Usechet-pesedjtiu, „Saal der Neunheit“ oder Usechet-cherit-ib, „Saal der Mitte“ genannter Raum.
In der Mitte der Rückwand dieses Raumes öffnet sich der Durchgang zum Hauptsanktuar des Herrn oder der Herrin des Tempels, der Set-weret, der „großen Stätte“ oder des „hohen Thrones“. Dieses Sanktuar ist meist der Raum für die Aufstellung der heiligen Barke. Sie ruht dort auf einem steinernen Sockel, von dem sie zum Transport leicht heruntergehoben werden kann.
Oftmals wird diese Barke durch einen eigenen, freistehenden Schrein oder Baldachin geschützt. Es gibt auch Tempelbauten, die vor dem Hauptsanktuar einen eigenen Barkensaal (Useched-wija) haben, dort ist das Hauptsanktuar in zwei hintereinanderliegende Räume aufgeteilt, meist aber wird die Götterbarke im Set-weret aufbewahrt.

    In den Ruinen des Ptah-Tempels von Karnak sieht man im Barkensanktuar vor der Statuennische den Sockel, auf dem die Barke des Gottes abgestellt wurde...
In den Ruinen des Ptah-Tempels von Karnak sieht man im Barkensanktuar vor der Statuennische den Sockel, auf dem die Barke des Gottes abgestellt wurde…

Das Kultbild der Gottheit selbst ist nicht permanent in der kleinen Kapelle untergebracht, die auf der heiligen Barke befestigt ist. Dieser Schrein ist nur für die Tempelprozessionen die Heimstatt der Gottheit. Die meiste Zeit steht das Kultbild hinter der Barke in einem eigenen, freistehenden, steinernen Naos oder in einer verschließbaren Nische in der Rückwand des Raumes.
In einigen Fällen wird es sogar in einem eigenen Kultbildraum hinter dem Sanktuar aufbewahrt.
Der Naos des Kultbildes oder der Kultbildraum Mesenet, („Geburtsstätte“) sind das Herz des gesamten Tempelkomplexes, von dem es heißt:

„Es ist unzugänglicher, als was im Himmel ist, verhüllter als die Dinge der Unterwelt, verborgender als die Bewohner des Urwassers.“

Das Sanktuar und die umliegenden Räume besitzen keine Fenster und bleiben daher permanent in Dunkel gehüllt (wie übrigens auch die Schlafzimmer altägyptischer Wohnhäuser).
Die Vorstellung, dass am Morgen die Tempeltüren geöffnet werden und somit die Sonnenstrahlen bis zum Kultbildschrein vordringen können, ist falsch. Bevor man die Türen im Inneren öffnet um in den nächsten Raum zu gelangen müssen sogar die vorderen Tempeltüren geschlossen werden.
Ausnahmen von dieser Regel bilden nur die Tempel, die dem Sonnenkult des Gottes Ra geweiht sind.
In diesen Bauten wird das Sanktuar durch in der Wand angebrachte Lichtschlitze von oben her erhellt.

 

Ende Teil 2

Vom Wesen ägyptischer Tempel (Teil 1) von Merienptah

Die Götter Kemets residieren nicht in einem weit entfernten Olymp, sondern (zumindest zeitweise) auf der Erde selbst inmitten der Menschen.
Die Tempel, also ihre Residenzen, sind aber als Teil einer anderen Welt den Menschen verschlossen.

Der kemetische Tempel ist ein Per-netjer, ein Haus für den Gott im vollsten Wortsinn. Die Tempel werden auch als Achet, als Horizont, bezeichnet; als ein Ort an dem die Gottheit erscheint, genau wie die Sonne bei Sonnenaufgang am Horizont erscheint.
In dieser „Exklave“ des Himmels leben die Götter in ihren Bildern. Ihre Kultbilder sind in gewissem Sinn die Körper der Götter auf Erden. Nicht ohne Grund heißt demnach in den Tempelannalen die Herstellung eines solchen Kultbildes „die Geburt des Gottes“.

Alle in der Tempelumwallung, also dem von einer hohen Mauer umschlossenen und den Blicken der Menschen entzogenen Tempelbezirk, zusammengeschlossen Einrichtungen haben letztlich die Aufgabe die im Tempel wohnenden Götter zu beschützen, zu pflegen und zu versorgen.
Die Kultbilder führen im Tempel ein elitäres, geheimnisvolles und von dem sie verehrenden Volk völlig abgeschirmtes Dasein.
Nur an bestimmten Götterfesten werden sie herausgetragen, um eine „Erscheinung“ zu feiern.
Fragen und Wünsche des Volkes an die Götter werden an solchen Tagen durch die Priester direkt den Gottheiten übermittelt und in Form von Orakeln beantwortet.

Gelegentlich sind an den Rückseiten der Tempel, also genau gegenüber der Stelle, an der sich im Inneren das Kultbild befindet, Kultstellen in Form von Scheintüren, Stelen oder Schreinen eingerichtet, von dem aus der im Tempel residierende Gott von außen erreicht werden kann.
Es gibt jedoch auch noch eine weitere Möglichkeit am Dasein der Gottheit im Tempel teilzuhaben und förmlich in die Götterresidenz „einzudringen“ und sogar dort mit der Gottheit zu „wohnen“, nämlich durch die Stiftung einer persönlichen Statue, die dann im Inneren des Tempelhauses aufgestellt wird und somit an den dort abgehaltenen Kulthandlungen teilnimmt.
Demzufolge ist das Innere der kemetischen Tempel nicht nur von Kultbildern, sondern auch von einer Vielzahl von Bildern bevölkert, die von Stiftern aus der normalen Bevölkerung stammen.
In diesen Bildern lebt, wie in den Kultbildern der Götter auch, der Ka der stiftenden Person und kann wie jene in den Genuss der ewiges Leben im Kreise der Götter verheißenden Rituale gelangen.
Hinzu kommen noch Weihegeschenke (kleine Tonfiguren und dergleichen), die die Bevölkerung als Dank für göttlichen Beistand den Tempeln stiftet.
Diese Figuren und Geschenke überfüllen allmählich die Innenräume der Tempel so sehr, dass sie von Zeit zu Zeit immer wieder ausgeräumt werden müssen.
Votivgaben können jedoch als Eigentum der Gottheit nicht zerstört werden, sondern werden innerhalb des Tempelbezirkes in großen Gruben rituell „beigesetzt“.
(In den alten Tempeln Kemets wurden solche Depots von den Archäologen entdeckt, diese sind für sie wahre Schatzgruben. Im Bereich des Karnak-Tempels wurde das bisher größte dieser Depots entdeckt, dort kamen über 17.000 Bronzestatuetten und 751 größere Statuen aus Stein zutage.)

Auch außerhalb der Tempelmauern fehlt es nicht an volkstümlichen Kultplätzen wie Höhlen, heiligen Tälern, Inseln oder Hügeln an denen das Volk mit den Göttern in Kontakt tritt und ihnen Opfergaben darbringt. Auch die privaten Wohnhäuser der Kemeten besitzen meist kleinere Kultstätten oder Schreine für die Schutzgottheiten der Familie.

Dass der Kemet ein derart aufwendiges System der Götterpflege auf sich nimmt, ist dadurch zu erklären, dass durch diese Umsorgung der Götter der ausgeglichene Zustand der Maat, der lebensspendenden Ordnung, hergestellt wird.
Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn Menschen und Götter gegenseitig ihren Beitrag dazu leisten, der Mensch durch Opfer und Kult, die Götter durch Erhaltung des Lebens und der Schöpfung. Wird dies nicht getan, versinkt die Welt in Chaos und Not, dann herrscht Isfet.
Die Durchsetzung der Maat auf Erden, also von Gerechtigkeit und Kult, obliegt dem König oder seinen direkten Stellvertretern. Erbauung und Unterhalt der Tempel gehört nicht in die Kompetenz einer weltlichen Lokalverwaltung, sondern ausschließlich in die Verantwortlichkeit des Königs, dessen Name allein in den Weiheinschriften erscheint. In den Tempelinschriften sind daher auch keine Verweise auf die Namen von Architekten oder einfache Priester zu finden, die die Pläne für den Bau und seine Ausstattung entwarfen.

Der kemetische Tempel ist in der Regel einer bestimmten Gottheit oder einer Göttertriade (Mutter, Vater, Kind) geweiht.
Wer sich einem solchen Heiligtum nähert folgt einer steingepflasterten Prozessionsstraße die meist von der Anlegestelle am Fluss bis zum eigentlichen Tempel führt.
Dieser Dromos ist von seitlichen Mauern abgeschirmt oder von Reihen von Sphingen begleitet, oft säumen auch Baumreihen diese zum Heiligtum führende Allee.
Dieser Zugangsweg endet für den nicht befugten Besucher normalerweise am Eingang zum eigentlichen Tempelbezirk, dem Per des Gottes, mit einem Tor in der Umfassungsmauer.

Grundriss des Horus-Tempels in Edfu, Ägypten. Schautafel an einer Miniatur-Rekonstruktion im Ägyptischen Museum Berlin. Bild: © Siat
Grundriss des Horus-Tempels in Edfu, Ägypten. Schautafel an einer Miniatur-Rekonstruktion im Ägyptischen Museum Berlin. Bild: © Siat

Dieser Zugang wird bei großen Tempeln von zwei Pylontürmen flankiert vor denen oft monumentale Stand- und Sitzbilder aufgestellt sind, die gelegentlich eigene Namen tragen und als Mittler zwischen Menschen und Göttern eigene Opfer empfangen.
Diese Prozessionsstraße setzt sich hinter dem Eingangstor fort und führt geradlinig auf das meist durch ein weiteres Portal geschützte Tempelhaus zu.
Kleinere Nebentempel wie zum Beispiel Geburtshäuser oder Barkenstationen und kleine Kapellen säumen den Weg.
Zu beiden Seiten der Straße und den eigentlichen Tempel an allen Seiten umschließend, erfüllt ein dichtes Gedränge von Bauten aller Art das Innere des Tempelbezirkes.
Einen Großteil der Fläche nehmen Magazin- und Lagergebäude ein, in denen die Rohstoffe untergebracht werden, die für den Tempelbetrieb benötigt werden. Dazu kommen administrative Einrichtungen wie Büros, Verwaltungsgebäude und Archive der Tempelverwaltung sowie Wohnhäuser für diejenigen Priester, die (zumindest zeitweise) direkt im Tempelbezirk untergebracht werden müssen. Oftmals gehören auch noch Werkstätten, in denen nicht nur Kultgegenstände und Statuen angefertigt werden, sondern in denen auch viele andere Handwerke vertreten sein können (beispielsweise eigene Schlachtereien und Tempelbäckereien) zu den Gebäuden die das gesamte Tempelareal zu einer richtigen kleinen Stadt in der Stadt machen.
Selbstverständlich fehlen neben diesen eher weltlichen Einrichtungen auch nicht solche, die enger mit dem Kult verbunden waren. So besitzen größere Tempel Bibliotheken für die religiöse Literatur und Schulen für die Ausbildung von Schreibern, Ärzten und Priestern. Diese Schulen stehen in engem Zusammenhang mit dem Lebenshaus, dem Per-anch, in dem die alten Schriften kopiert und aufbewahrt werden und in dem die Priester nicht nur Einsicht in die religiöse und wissenschaftliche Literatur nehmen, sondern auch jene Riten vollziehen, die zur Erhaltung des Lebens nötig sind.

 

Ende Teil 1